2022 mediatorinnenausbildungStreit gibt es immer wieder. In der Familie, auf der Arbeit, in der Schule oder in der Nachbarschaft. Wenn alles friedlich ausgeht, kann Streit ja auch etwas Gutes haben: Man lernt sich und andere besser kennen. Manchmal löst sich ein Streit aber nicht auf, die Streitenden benötigen dann die Hilfe Dritter. Im Rahmen des MORUS 14-Projekts Starke Nachbarschaft im Rollbergkiez wurden Anwohnende zu Mediator:innen, also Streitschlichter:innen ausgebildet. Wir haben Eva Sperschneider interviewt, die die Ausbildung zusammen mit ihrem Kollegen Dror Noy geleitet hat.



Ihr habt Workshops für Nachbar:innen angeboten, in denen man lernen konnte, wie man Konflikte löst. Was genau machen Mediator:innen?

Mediation ist ein Gesprächsverfahren, das Menschen hilft, ihre Konflikte gemeinsam zu lösen. Die Mediator:innen schaffen einen sicheren Gesprächsrahmen und unterstützen Streitende dabei, sich zuzuhören und sich selbst und den anderen besser zu verstehen. Mediator:innen stellen Fragen, greifen Gefühle auf und machen sie sichtbarer, ordnen und fassen zusammen – die Lösungen finden die Ratsuchenden selbst, Mediation setzt auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung.
Unser Kurs im Rollberg ist in Bezug auf Mediation ein Schnupperkurs, aber Methoden und Prinzipien der Mediation kann man auch in Alltagskonflikten anwenden. Außerdem geht es im Kurs auch um Themen wie unterschiedliche Konfliktstile, persönliche Grenzen und den Umgang mit Beleidigungen und Diskriminierung.

Ihr seid selbst Mediator:innen und bietet die Kurse ehrenamtlich an. Wie ist die Idee dazu entstanden, im Rollberg Kurse anzubieten?

Viele Bewohner:innen berichten von häufigen Konflikten und Stress im Kiez und auch die Ehrenamtlichen, die sich bei MORUS 14 e.V. engagieren, haben damit zu tun. Daher gab es im Verein die Idee, Kurse zum Umgang mit Konflikten anzubieten.
Mein Kollege Dror ist Mediator, ehrenamtlich bei MORUS 14 und beim Kurs mit dabei. Ich arbeite als Trainerin und Mediatorin bei ZoffOff mit Sitz in Kreuzberg. Unser Verein ZoffOff bietet kostenfreie Mediationen für Menschen an, die es sich sonst nicht leisten könnten.

Wie groß war das Interesse im Rollberg an den Workshops?

Das Interesse war ziemlich groß, bei einem ersten Kennenlern-Termin waren 10 Leute da und es gab sogar noch mehr Anfragen. Allerdings sollte das Projekt schnell starten und die gemeinsame Terminfindung war schwierig, einige konnten aus terminlichen Gründen nicht dabei sein. Herausfordernd war, dass es viel Fluktuation in der Gruppe gab, weil nie alle konnten.

Welche Inhalte habt ihr in den Kursen vermittelt?

Als Basis haben wir uns mit der Dynamik von Konflikten beschäftigt – welche Eskalationsstufen gibt es und was passiert innerlich mit Menschen in Konfliktsituationen. Wie ist das bei mir selbst? Wie verhalte ich mich selbst in Konflikten? Menschen verlieren den Zugang zu ihren Ressourcen, wenn sie in einem Konflikt feststecken. Sie sind nicht mehr in der Lage, dem anderen zuzuhören und sich in ihn hineinzuversetzen, wenn sie nicht selbst erst Anerkennung für ihr Leid bekommen. Hier kommt die Unterstützung von außen, den Mediatori:innen ins Spiel.
Wir haben in kleinen Gruppen Gesprächstechniken geübt wie das Spiegeln von Gefühlen, gewaltfreie Kommunikation und Fragetechniken. In einer Sitzung haben wir dann das Format der Konfliktberatung geübt – die Teilnehmer:innen haben sich gegenseitig zu schwierigen Situationen beraten. Ein wichtiges Anliegen der Teilnehmer:innen war es, Handlungsmöglichkeiten und persönliche Grenzen bei Diskriminierung und verbaler und physischer Gewalt zu behandeln.

Gibt es „typische" Konflikte im Rollberg?

Da fallen immer wieder die Schlagworte „Müll“, „Lärm“, „Kinder“. Das sind typische Nachbarschaftskonflikte, welche es in allen Kiezen gibt. Im Rollberg wird das Ganze verschärft durch die angespannte Wohnsituation: Hier wohnen viele Menschen auf engstem Raum und haben wenig Rückzugsmöglichkeiten. Wenn Menschen zu fünft oder sechst in einer 2-Raumwohnung leben, liegen schnell die Nerven blank und sind Konflikte vorprogrammiert.

Welche Faktoren haben Einfluss auf nachbarschaftliche Konflikte?

Erstmal finde ich wichtig zu betonen, dass Probleme und Konflikte im Rollberg einen sozial- und wohnungspolitischen Hintergrund haben. Ich finde es toll, dass wir diesen Kurs anbieten können, gerade weil Mediation oft eher in akademischen Kreisen bekannt und akzeptiert ist und wir dazu beitragen können, den Mediationsansatz mehr Menschen bekannt und zugänglich zu machen, dort wo er gebraucht wird. Wir sollten aber die Grenzen von Mediation und strukturelle Probleme nicht darüber vergessen. Die Wohnungsnot ist meiner Meinung nach ein wichtiger Faktor; Sprachbarrieren, kulturelle Identitäten oder Diskriminierung spielen auch in einigen Konflikten eine Rolle. In bunt zusammen gewürfelten Häusern gibt es in Bezug auf Lautstärke oder Müll vielleicht eher verschiedene Vorstellungen und Bedürfnisse und man bräuchte mehr Kommunikation, um Kompromisse zu finden, was sprachlich nicht immer einfach ist. Die Teilnehmenden berichten auch von Diskriminierung und Rassismus – ein Problem für sich, das auch zu Konflikten führen kann. Und manchmal bekommen Konflikte eine besondere Dynamik, weil eine Solidarisierung oder „Lagerbildung“ nach der Familie oder nationalen Identität stattfindet.
Im Kurs waren erfreulicherweise viele Stadtteilmütter, die einen guten Kontakt zu den Familien haben und sie als Ansprechpartnerinnen und Beraterinnen auch im Konfliktfall gut unterstützen können. Und natürlich bietet die Vielfalt im Rollberg eine Chance ganz viel über die anderen und sich selbst zu erfahren. Für viele Menschen hier sind Sprach- und Perspektivwechsel, Vermittlung und Übersetzung Teil des Alltags – das kann man auch wunderbar für die Konfliktlösung einsetzen.


Sollen die Kusteilnehmer:innen nun aktiv in Konflikte eingreifen oder gibt es Aushänge/Infos in den Häusern, dass man sich im Konfliktfall an diese oder jene Person wenden kann?

Bisher sind noch keine Aushänge geplant. Bei dem aktiv Eingreifen muss man schauen, was das heißt und ob es im konkreten Fall sinnvoll ist. Was Mediation und Streitschlichtung angeht, kann man zum Beispiel nur ein Angebot machen, die Streitenden müssen auch selbst bereit sein, etwas klären zu wollen. Der Kurs war erstmal ein Einstieg ins Thema Umgang mit Konflikten – die Teilnehmer:innen können am Ende hoffentlich besser mit eigenen Konflikten umgehen, Situationen deeskalieren, andere beraten und unter Umständen auch anbieten, ein Klärungsgespräch zu moderieren. Es war auch ein wichtiges Ziel, Konflikte und auch sich selbst und die eigenen Grenzen besser einschätzen zu können – was ist meine Rolle? Ist Hilfe überhaupt gewünscht? Und wann ist professionelle Unterstützung nötig? Der Kurs ist ja keine komplette Mediationsausbildung und es ist wichtig, sich hier nicht zu überschätzen und bei verhärteten Konflikten professionelle Unterstützung zu suchen. Wir wollen mit dem Kurs aber auch schauen, wie viel Interesse an dem Thema besteht und ob man langfristig eine feste Gruppe von Konfliktberater:innen aufbauen kann, die dann im Kiez beraten oder mediieren.


Interview: M. Hühn, 2022 / Foto: E. Sperschneider

Das Projekt "Starke Nachbarschaft im Rollbergkiez" wird aus Mitteln des Programms Sozialer Zusammenhalt finanziert.



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